Das Buch „Heute beißen die Fische nicht“ von Ina Westman hielt ich das erste Mal im Mai 2022 in den Händen. An unserem Institut für Fennistik und Skandinavistik hatten wir die Ehre, den Übersetzer und Autor Stefan Moster kennenzulernen. Für mich als Studentin der finnischen Sprache und Kultur eine große Freude. Wie übersetzt man ein Werk in eine andere Sprache? Wie geht man mit Humor und Eigenheiten der Sprache, in der das Buch verfasst wurde, um und darf, nein – muss man sogar ganze Sätze umbauen? Bei einer Übersetzung sollte man sich immer die Intention des Werkes vergegenwärtigen. Welche Wirkung soll das Buch auf den Leser haben?
Es war eine interessante Begegnung und im Anschluss – für uns als Begeisterte der finnischen Sprache und Literaturwelt die Krönung – durften wir uns ein Übersetzungsexemplar Stefan Mosters aussuchen. Ich blätterte die Seiten jedes Buches durch, versuchte mir die Welten zwischen den Zeilen vorzustellen, und ging schlussendlich mit dem Buch »Heute beißen die Fische nicht« nach Hause. Aus der Reihe seiner Übersetzungen habe ich bereits »Die Frau des Obersts« von Rosa Liksom auf skandinavien.live vorstellen dürfen.
Text: Sarah Baumann
Ina Westman: Heute beißen die Fische nicht
Von Ina Westman, geboren 1974, erschien neben »Heute beißen die Fische nicht« (finnisch »Henkien saari«) »Syliin«, das bisher nicht in der deutschen Übersetzung vorliegt. Die Schriftstellerin arbeitet überdies als Bloggerin und Kommunikationsmanagerin.
»Heute beißen die Fische nicht« war meine Sommerlektüre. Sie nahm etwas von der erdrückenden Hitze des deutschen Sommers: Zwar spielt die Handlung auch während eines Sommers, doch nicht in einer Großstadt, sondern auf einer weitgehend urtümlichen Insel in den finnischen Schärengärten. Rauschende Wellen und das wilde Meer begleiten einen auf der Reise.
Eine Familie wie das Meer
Die erste Szene katapultiert den Leser direkt auf diesen Schauplatz: Die Protagonisten Joel, Emma und Fanni befinden sich auf ihrem Boot in Richtung Sommerhaus. Eine dreiköpfige Familie, deren Leben so schwankend wie das Meer ist. Emma erlebt im Laufe des Buches intensive Halluzinationen. Joel, der zwar versucht, an ihrer Seite zu sein, scheint den Bezug zu ihr zu verlieren. Dazwischen steht Fanni: Ein aufgewecktes Kind mit dunklen Haaren, das unter den Küstenbewohnern auffällt, und viele Fragen an die Welt und ihre Adoptiveltern hat. Doch von wem wird Fanni erhört? Das Buch ist ein stiller Beobachter der verschiedenen Erziehungsmodelle, die Eltern einnehmen können und die auf das Kind transferiert werden. Es stellt eine Familie dar, in der die Eltern in ihre eigene, isolierte Blase fallen. Fannis Fragen richten sich demnach an ihren Großvater, der ihr Gleichgewicht gibt.
Der Sommer schreitet voran und der Leser lernt die Charaktere von Joel und Emma kennen. Ihr Leben, bevor sie einander in einer Bar in Helsinki trafen, und ihre Träume für die Welt. Joel ist strukturiert, still und Pädagoge. Emma der umtriebige, gefühlvolle und unbeständige Gegenpart. Ihre Wahnbilder sind Geister aus einer vergangenen Zeit, die dem Zuhörer wie Puzzleteile erscheinen. Die Sinnestäuschungen verdichten sich, je mehr Zeit die Familie auf dem Meer verbringt. Die See scheint ein Geheimnis zu bewahren, dessen Erkenntnis in der Vergangenheit liegt.
(K)eine Sommerlektüre
Mit »Heute beißen die Fische nicht« hat Ina Westman einen zweiten packenden Roman geschrieben. Der Sommer wird aus den Perspektiven Joels, Emmas und Fannis erzählt, wobei die Kapitel durch ihre Kürze hervorstechen. Das Lesen ist folglich nicht zäh, auch wenn sich die Handlung schwerpunktmäßig mit Gefühlen und Rückblicken beschäftigt und man an einigen Stellen mit dem Verständnis für die Familie zu kämpfen hat. Letztendlich bietet die Geschichte ferner einen spannenden Einblick in die Fragen, wie man in Krisensituationen miteinander umgehen kann und für was es sich lohnt zusammenzuhalten. Ein Buch, das sich nicht nur lohnt im Sonnenschein zu lesen, sondern auch in der kühlen Jahreszeit, wenn auf unseren Schultern eine gewisse Schwere lastet.
»Als ich näher herantrete, erkenne ich eine Gestalt auf einem großen Stein. Ein kleines Mädchen sitzt dort, mit dem Rücken zu mir. Ich will nicht hingehen, bewege mich aber trotzdem auf es zu. Das Mädchen blickt aufs Meer, es ist klein, doch auf dem Rücken kräuselt sich schönes schwarzes Haar. Es sitzt regungslos mit den Händen im Schoß da, die kleinen Finger spielen unablässig miteinander. Dann schaut es mich an, die Augen sind leer und schwarz, es wohnt niemand darin. Und mit diesen leeren Augen schaut mich die Kleine an und fragt sanft, hoffnungsvoll: Mama?« (zit. Westman: S. 65/66)