von Katrin Walter
2018 hat Finnland seinen Einwohner:innen ein ganz besonderes Geschenk zum 101. Unabhängigkeitstag gemacht: eine Bibliothek, die nicht nur finnischer Architektur huldigt, sondern auch eine einladende Möglichkeit bietet für eine Weile dem Trubel der Stadt zu entfliehen. Die neue
Zentralbibliothek „Oodi“ (dt. Ode) im Herzen Helsinkis liegt direkt gegenüber dem Parlamentsgebäude und ist ein 10.000 Quadratmeter großes Wohnzimmer für die Bürger:innen der Stadt. Ein Wohnzimmer, das zwischen dem Kunstmuseum Kiasma und dem Helsinki Music Center unweit Alvar Aaltos berühmter Finlandia-Halle schwebt. Wellenförmig erstreckt sich das aus finnischer Fichte und Glas designte Gebäude vom größten Verlagshaus des Landes zu einem stufenförmig angelegten Park
und verbindet sozusagen Stadt und Natur auf organische Weise.
Der Bürgermeister Jan Vapaavuori sieht in Oodi ein Symbol für das unabhängige Finnland und ein Versprechen für eine bessere Welt. Denn das Konzept der Bibliothek spiegelt die wichtigsten Werte der finnischen Gesellschaft wider: soziale Begegnungen, das Teilen von Ressourcen und das Erleben eines Gemeinschaftsgeistes. Schon seit 1928 gibt es in Finnland das Bibliotheksgesetz, das nicht nur die Ausgaben der Kommunen für Bibliotheken regelt, sondern diese seit 2016 auch als Orte der Förderung einer aktiven Zivilgesellschaft, Demokratie und Meinungsfreiheit beschreibt. Diesen besonderen Ort hat sich die finnische Regierung ca. 100 Millionen Euro kosten lassen, denn es ist ein Investment in kommende Generationen und vor allem in das wichtigste Kapital des Landes: Wissen.
Die Planung des ambitionierten Projektes begann bereits 2012 mit einer groß angelegten Bürger:innenbefragung unter dem Motto „Traum“ (fin. Unelma). Die zusammengetragenen Wünsche der Bevölkerung flossen in die Projektplanung ein und wurden schlussendlich auf drei Stockwerken
Wirklichkeit. Entworfen wurde Oodi vom finnischen Architektenteam ALA, die damit einen Prototyp für Bibliotheken schaffen und die Seele finnischer Architektur für alle zugänglich machen wollten. Dieses Anliegen wurde auf der Wendeltreppe, die alle Stockwerke verbindet, festgehalten. Eine
Vielzahl an Begriffen beschreibt Menschen, Eigenschaften und Eigenheiten, die in der Gemeinschaft der Bibliothek willkommen sind.
Auf drei Stockwerken können Besucher:innen in eine Welt eintauchen, die modernste Technik, Lesevergnügen oder einfach Ruhe vor der Stadt bietet. Im Erdgeschoss warten Service- und Informationseinrichtungen, eine Küche für Kochkurse, ein Bistro, ein Auditorium für Veranstaltungen
sowie ein Kino, in dem finnische Filmproduktionen gezeigt werden. Über eine lange Rolltreppe, vorbei an Meetingräumen aus Glas, gelangt man in den ersten Stock und hinein in einen Technik-Traum. Egal, ob 3D-Drucker, Spielkonsolen, Nähmaschinen oder Lasercutter – es gibt nichts was es nicht gibt. Man kann sogar Instrumente ausleihen und diese direkt im Tonstudio einspielen. Alles unentgeltlich.
Auch innen erwartet die Besucher:innen eine moderne Architektur. Es gibt viele Sitzmöglichkeiten und Platz für Veranstaltungen.
Im zweiten, dem finnischen dritten, Stock eröffnet sich der Lesehimmel. Eine weiße wellenförmige Decke überspannt den Lesesaal. Abgeschrägte Holzpodeste, von denen man den ganzen Raum überblicken kann, erheben sich an beiden Enden und durch die hohen Glasfronten strömt Licht, das sich in den an Schneeflocken erinnernden Glasverzierungen warm bricht. Kaffeeduft zieht durch die Regale, Sessel und geschwungene Bänke laden zum Schmökern ein.
Im Lesesaal kann man auch Kaffee und Kuchen kaufen. Mit dem Blick Richtung Parlamentsgebäude.
Die Akustik des Raumes macht es möglich, dass Kinder auf der einen Seite spielen können während auf der anderen Seite ein Autor:innengespräch stattfindet – tatsächlich ein Gemeinschafts(t)raum. Eine große, dem Lesesaal vorgelagerte Terrasse aus Holz, gibt den Blick auf das Parlament und das finnische Nationalmuseum frei. Ein Besuch im Lesehimmel, wo die Stadt die Wolken berührt, darf bei einem Helsinki-Trip auf keinen Fall fehlen.