In Berlin-Pankow gibt es einen Buchladen, der in aller Breite Bücher aus dem Norden präsentiert. Für Fennoskandien-Begeisterte ein herrlicher Platz, nordischer Geschichte, Gesellschaft, Erzählstärke und Poesie näher zu kommen. Sein Name ist Pankebuch und definitiv einen Besuch wert. Aus ihrem Repertoire habe ich „Die Frau des Obersts“ von der Schriftstellerin Rosa Liksom gelesen. Liksom ist eine bekannte finnische Schriftstellerin, die für ihren Roman „Abteil Nr. 6“ 2011 den Finlandia-Preis erhielt. „Die Frau des Obersts“ erschien am 24. Februar 2020 im Penguin-Verlag in der Übersetzung von Stefan Moster.
Text: Sarah Baumann
Rosa Liksom: Die Frau des Obersts
Der Roman erzählt die Lebensgeschichte einer Frau, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts im finnischen Lappland aufwächst. Von ihrem Vater nationalistisch geprägt, schließt sie sich der paramilitärischen Frauenorganisation Lotta Svärd an. Sie verehrt ihr Vaterland tief und ist von den Schwarzhemden aus Lapua fasziniert, die der faschistischen Lapua-Bewegung angehören.
Eine Verflechtung von Erniedrigung und Anziehung
Rosa Liksom zeichnet das Leben dieser Frau in drei Phasen: die vom Vater geprägte strenge Kindheit, die Zeit der bedingungslosen und grausamen Liebe zwischen ihr und dem Oberst und schlussendlich die Befreiung aus der jahrzehntelangen Abhängigkeit. Dem Oberst, einer fiktiven Figur, begegnet die Protagonistin schon in ihren jüngsten Jahren und im Laufe des Buches wird offensichtlich, dass die Abhängigkeit schon seit ihrer Kindheit besteht. Mit ihm entwickelt sie sich zu einer begeisterten Nationalsozialistin, die als Begleitung des Obersts alle wichtigen finnischen Nationalsozialisten und auch Hitler selbst kennenlernt. Doch das Ziel des Werkes ist nicht, den Winterkrieg, den Fortsetzungskrieg und das Verhältnis Finnland-Deutschland zu analysieren. Vielmehr zeigt es, wie Liebe und Erniedrigung, Sehnsucht und Unterwerfung sich ineinander verflechten und aus der namenlosen Frau ein Schatten ihrer selbst machen. Gepaart mit Ideologie wird aus dem Roman eine schreckliche und faszinierende Geschichte.
Rosa Liksom: Eine Welt des Grauens und der Liebe
Die Schilderungen sind knapp und intensiv, so dass sich das Buch in einem Zug lesen lässt, ohne dass man es jedoch in seiner ganzen Fülle begreifen kann. Glaubt man die Protagonistin verstanden zu haben, sieht man sich selbst entgeistert die Seiten anstarren, da die Handlungen und Gefühle grotesk erscheinen. Das Sprachbild Rosa Liksoms ist ehrlich und direkt – einerseits verklärt es die Leidenschaft, andererseits wütet es mit vulgären Ausdrücken. Vor allem letzteres wirkt fremd und abstoßend auf den Leser – jedoch gewöhnt man sich, sofern man von eigenen Ästhetik-Vorstellungen absehen kann, an die Wortwahl und die ständig anwesende Brutalität. Ausgeglichen wird dies durch die Sanftmut und den Frieden der Natur, welche eine tragende Rolle für das Leben der Frau spielt.
Der historische Rahmen
Im Buch begegnen dem Leser dutzende Namen an deutschen sowie finnischen Generälen, Gouverneuren, Präsidenten und Generalobersten und alle Orte werden haargenau benannt. Die Detailgenauigkeit und kuriosen Fakten – „Der Marschall, der übrigens nie Hecht aß, aber Krähenbraten mochte […]“ (zit. Liksom: S.121) – sind imposant, aber umso schwieriger fällt auch das Einordnen und Erinnern. Teilweise tritt Verwirrung auf, was nun der Wahrheit und was der Fantasie entspringt. Im Aufbau des Romanes liegt, so finde ich, die eigentliche Anziehung des Buches. Die Kapitel sind voneinander durch einen prägnanten Satz getrennt, der die Funktion eines Titels übernimmt. Jedoch durchströmt den Leser Ahnungslosigkeit, was einem in der nächsten Episode des widerstrebenden Lebens der Frau erwartet. „Einmal fragte ich den Oberst, warum er mich quäle und fast jeden Monat einmal versuche, mich glatt zu töten. Darauf antwortete er: Wen man liebt, dem gibt man Hiebe.“ (zit. Liksom: S.137-139).
Am Ende bleibt Sprachlosigkeit und die Gedanken wollen sich nicht ordnen lassen – hat man Mitleid mit der geschändeten Protagonistin? Oder empfindet man bloße Abneigung gegenüber ihr, die die Zeit des Nationalsozialismus und seine Verbrechen gegen die Menschheit gekannt und toleriert und die Deutschen bewundert hat?
Das Lesen ist kein Vergnügen, aber es ist Erlebnis und Erwachen.
Sarah Baumann ist unsere Ambassadoren für Literatur aus dem hohen Norden.
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