von Katrin Walter

Die letzten Monate haben das Verhältnis der Menschen zur Natur verändert – einfach mal raus aus den eigenen vier Wänden oder dem Home Office. Lange Spaziergänge, Wanderungen und Bewegung an der frischen Luft haben zugenommen und einen neuen Stellenwert erhalten. Zumindest für die Natur hat das jedoch nicht immer positive Effekte mit sich gebracht. Jetzt wo der Sommer naht und das Wetter wieder besser wird, lohnt es sich, das skandinavische Kulturphänomen Friluftsliv genauer zu betrachten. Denn in den nordischen Ländern ist die Verbundenheit zur Natur seit jeher anders und bringt daher auch eine andere Haltung unserer Umwelt gegenüber mit sich.

Der Begriff Friluftsliv hat seinen Ursprung in Norwegen

Geprägt wurde der Ausdruck Friluftsliv in den 1850er Jahren vom berühmten norwegischen Dramatiker Henrik Ibsen. Er benutzte den Begriff, um zu beschreiben, wie wichtig es für das geistige und körperliche Wohlbefinden ist, Zeit an abgelegenen Orten und in der Natur zu verbringen. Natürlich ist das Konzept, sich in der Natur aufzuhalten, um sich zu etwas Gutes zu tun, nicht erst seit Henrik Ibsen bekannt. Seit Jahrhunderten ist es Teil der nordischen Lebensweise. Man könnte sagen, dass die Philosophie von Friluftsliv im Grunde auf einem einfachen Leben in der Natur beruht, ohne diese zu zerstören oder Spuren zu hinterlassen.

Was ist Friluftsliv überhaupt?

Aus diesem Grund folgt Friluftsliv auch keinem festen Konzept oder ist an bestimmte Aktivitäten gebunden – alles ist erlaubt und das Konzept kann ganz individuell ausgelegt werden. Es ist völlig egal, ob man sich an einen Badesee legt, einen Spaziergang macht oder Pilze sammelt. Hauptsache man bewegt sich und verbringt Zeit an der frischen Luft. In Norwegen spiegelt sich diese positive Lebenseinstellung auch in dem Sprichwort „Ut på tur, aldri sur“ (wer draußen unterwegs ist, kann nicht mürrisch sein) wider. Und deswegen kann man in Norwegen sogar einen Bachelor-Abschluss in Friluftsliv machen.

Ein wesentlicher Bestandteil des Friluftsliv ist der bewusste Umgang mit der Natur. Sich darin zu bewegen, sie zu spüren, sie zu riechen und zu erleben. Aber der Aufenthalt in der Natur bringt Verantwortung mit sich – gegenüber der Natur und ihren Bewohnern. Und das bedeutet die Zerbrechlichkeit der Natur und der Umwelt wahrzunehmen. Sie zu respektieren und Rücksicht auf das Ökosystem und die darin lebenden Tiere zu nehmen. Und sie zu schützen. Denn Achtung und Respekt gegenüber natürlichen Prozessen und allem Lebendigen ist die Grundvoraussetzung, um ein tiefgreifendes Verständnis für dieses Konzept aus dem Norden zu schaffen.

Das Jedermannsrecht in den nordischen Ländern

Woher kommt die besondere Verbindung zur Natur in den nordischen Ländern? Vielleicht liegt es an der dünnen Besiedelung Skandinaviens. Die Natur und der bewusste Umgang mit ihr stehen mehr im Fokus und sind eher Teil der Lebensweise – anders als im restlichen, überwiegend stark besiedelten Europa. Aus diesem Bewusstsein heraus hat sich auch das Allemansrätten (dt. Jedermannsrecht) entwickelt.

Kurjenrahka Nationalpark Finnland
Holzplanken leiten einen durch die Nationalparks, Foto: Katrin Walter

Zelten mitten in der wilden Natur, Beeren und Pilze sammeln, wandern auch abseits der vorgegebenen Pfade – das Jedermannsrecht macht’s möglich. Dieses uralte Gewohnheitsrecht gibt es in den nordischen Ländern (ausgenommen Dänemark) in Schottland und der Schweiz. Das Recht darauf, sich frei in der Natur zu bewegen gilt nicht nur für Einheimische, sondern auch für Touristen. Jedoch sind manche Teile dieser Regeln Auslegungssache und es schadet sicher nicht, sich vor Ort bei Grundbesitzern oder den Behörden zu erkundigen, was genau gilt. Wer Rücksicht nimmt, behutsam mit der Natur umgeht und keine Schäden anrichtet, kann kaum etwas verkehrt machen. Es gilt immer die Grundregel “Nicht stören und nichts zerstören”.

Friluftsliv als Lebensphilosophie

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Konzept des Friluftsliv ganz individuell ausgelegt werden kann und im Grunde nur der Spaß am Draußensein im Vordergrund steht – natürlich immer mit Rücksichtnahme auf die Natur. Friluftsliv ist kein Trend, sondern eine Lebenseinstellung und wird 365 Tage im Jahr praktiziert – mieses Wetter als Ausrede dafür zu benutzen, drinnen zu bleiben, kommt nicht in Frage. Und vielleicht liegt es genau daran, dass die nordischen Länder sich Jahr für Jahr die vordersten Plätze im World Happiness Report sichern. Denn wie wir gelernt haben: Wer draußen unterwegs ist, kann gar nicht unglücklich sein! Probier’s doch mal aus!

Wenn Dich das Thema Friluftsliv interessiert, dann sei bei unserem Campfire dabei und erfahre Wissenswertes rund um das Thema von Guides und Expert:innen aus den nordischen Ländern.

Die Regeln des Allemansrätten. Bildquelle: hsr.se

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