Deutsche Übersetzungen finnischer Literatur kann man nunmehr schon in einigen Verlagen finden. Im Ullstein-Buchverlag habe ich »Feuerherz« von Katja Kettu in der Übersetzung von Angela Plöger entdeckt. Die rätselhafte und charakteristische Sprache der Autorin hat mich vom ersten Satz an ergriffen. „Ich bin die Tochter des Weißen Gottes, und mich werdet ihr nicht kriegen.“ (zit. Katja Kettu: S.7)

Text: Sarah Baumann

Katja Kettu: Feuerherz
Die Lebensreise zweier Frauen

Kettu, geborene Heikkinen, ist eine weitere finnische Schriftstellerin, in deren Vorstellungswelt ich eingetaucht bin. Sie studierte mitunter Finnische Literatur in Tampere. Für das Werk »Kätilö«, welches im Deutschen unter dem Titel »Wildauge« im Ullstein-Buchverlag erschien, erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen – unter anderem den Runeberg-Preis. 2017 erschien »Yöperhonen« mit dem deutschen Titel »Feuerherz«.

Das Buch ist in vier Teile gegliedert – jeder widmet sich einer unsichtbaren Kraft, der laut dem Glauben der Mari dem Menschen bis zu seinem Tod innewohnt. Über das ört berichtet Uno Holmberg in »Die Religion der Tscheremissen«: „Wenn ört nie mehr zurückkehrt, ist der Tod die Folge.“ (zit. Kettu: S. 201).

Die Lektüre nimmt einen mit auf die Lebensreise zweier eigenständiger, dickköpfiger und zugleich sensibler Frauen. Irgas Geschichte beginnt 1937 mit ihrer Flucht in die Sowjetunion, da sie ein Kind eines Skolt-Kommunisten in sich trägt. Doch entgegen ihren Hoffnungen erwartet sie nicht Wolfszahn jenseits der Grenzlinie, sondern der Abtransport in das Gulag Workuta. Ihr Urteil nach dem Strafparagraphen 58-1a lautet: 25 Jahre Arbeitshaft. Auf dem Weg in die unwirtliche Weite lernt sie die Mari Jelena Michailowna kennen, ihre seelische ­­­»Schwester«. Mit abgetrennter Zunge, von allen als »Stummchen« betitelt, beginnt ihr Leben als politischer Häftling. 

Die zweite Frau ist Verna, die 2015 ins Dorf Lawra reist, um den Tod ihres Vaters Henrik aufzuklären. Sie wird von Jelena Michailowna aufgenommen, die nach außen hin barsch und unnahbar wirkt, und doch von allen bábuschka genannt wird. Hier an der Wolga scheint die Zeit stehen geblieben zu sein: ein Wasserturm, für den nie Wasserleitungen verlegt worden sind und ein zerfallener Kolchos.  Doch auch die Personen wollen sich gegenüber der finnischen Journalistin nicht öffnen und selbst gegenüber Kostja, dem Waldjungen, der im Auftrag des OMON – der russischen Nationalgarde – die bábuschka aufsucht, hat Verna ihre Zweifel.

Ein Streifzug durch die sowjetische Geschichte

Der Lesende begibt sich auf einen Streifzug durch ein langes Kapitel der sowjetischen Geschichte. Mit Irga leidet, hofft und sehnt er sich. Doch das Verhältnis zu der Figur ist zwiespältig. Irgas Überlebenswille lässt sie teilweise kalt erscheinen und gerade dadurch schafft Kettu mit ihr einen authentischen und gnadenlos direkten Charakter, der zwar keine Heldin ist, aber einen Teil unserer selbst widerspiegelt. Mit Verna dagegen analysiert und interpretiert der Lesende auf persönliche Weise die Verhältnisse des Landes, die Leben der Protagonisten und wie diese zusammenhängen.

Es ist eine spannende Reise, die kein Tabu-Thema und kein Schweigen kennt. Die Geschichten der Frauen wechseln sich ab und der Lesende begreift nach und nach die Beziehungen. Die Kapitel aus Jelenas Sicht ergänzen die Spurensuche. Vor allem auf den letzten hundert Seiten kann man die Augen nicht mehr von den Seiten lassen. Die Geschichte ist brillant gemacht. Zudem ist sie reich an Poesie und führt ein in die Sprache und Kultur der Mari: einem finnisch-ugrischen Volk. Die Krönungen sind das Glossar, die Literaturempfehlungen und die Landkarte am Ende des Buches. 

„Ich führe einen Schlag gegen dich, […]. Einen einzigen, gegen die Schläfe. Der Spaten trifft den Knochen, so dass es kracht. Du sackst auf einen Stein. Ich betrachte dich mit Entsetzen und Interesse, wie ein Kind, das einem Schmetterling die Flügel ausreißt.“ (zit. Kettu: S. 367).

Die finnische Literaturszene hat einiges zu bieten. Wenn Du auf der Suche nach weiteren Büchern finnischer Schriftsteller*innen bist, solltest Du mal einen Blick auf den Beitrag über das Buch Die Frau des Obersts von Rosa Liksom werfen. Viel Spaß beim Schmökern!

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Sarah Baumann

Ambassador Literatur

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